Studentisches Wohnen zwischen Wohnheim und Abriss

Zu Beginn des Studienjahrs 1989/90 war der ökonomische und moralische Verschleiß der DDR unübersehbar. In Halle mit seiner dem Verfall preisgegebenen Altstadt inmitten des berüchtigten »Chemiedreiecks« wurden die Widersprüche des Landes im Bereich des Wohnens besonders spürbar.

Knapp 70 Prozent der halleschen Studenten lebten in Studentenwohnheimen, zumeist in Mehrbettzimmern mit Etagenküche und Duschen im Keller. Überbelegungen waren Normalität. Neben Neubauten aus den 1970er Jahren gab es Unterkünfte in den
maroden Franckeschen Stiftungen oder in Baracken-Wohnheimen. Der Sanierungsbedarf war hier besonders hoch, einige Bereiche
waren bereits baupolizeilich gesperrt. Die Abschaffung des reglementierten und überwachten Wohnheimalltags war im Herbst
1989 eine Forderung der Studenten.


Für wohnungssuchende Studenten war ein Ausweichen auf den Wohnungsmarkt nicht einfach. Die staatlich gelenkte Wohnungswirtschaft konnte die Nachfrage nach Wohnraum nicht befriedigen. Im System der staatlichen Wohnungslenkung hatten Studenten keine Chance, eine eigene Wohnung zu erhalten.
Einen Ausweg bot das sogenannte Schwarzwohnen.

Seit den 1970er Jahren wurden in Halle Altbauviertel für den Flächenabriss vorbereitet. In diesen Abrissvierteln etablierte sich eine zumeist von Studenten getragene Subkultur des »Wohnens im Abriss«, 1989 auch das Wohnen in leerstehenden Wohnungen ausgereister Hallenser. Zumeist wurde die niedrige Miete gezahlt, den Erhalt und den Ausbau der Wohnung übernahm man selbst. Diese Wohnform bot das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung, zumal die Wohnbedingungen häufig nicht schlechter waren als in Studentenwohnheimen. Im Herbst 1989 beantragte die Universität bei der Stadt gar die temporäre Bereitstellung solcher Wohnungen, um den Mangel an Studentenwohnungen zu beheben.